Die durchschnittliche Dividendenrendite in der Schweiz liegt mit 3 Prozent immer noch über der Rendite von Anleihen. Wer in seiner Anlagestrategie auf Gewinnausschüttungen fokussiert, sollte sich jedoch auch der Nachteile bewusst sein.
Pierre Weill
Die globalen Börsen zeigten diese Woche leichte Zeichen der Entspannung. Auslöser war die Andeutung des amerikanischen Zentralbankvorsitzenden Jerome Powell, wonach sich das Tempo der Leitzinserhöhungen ab Mitte Dezember verlangsamen könnte.
Die Gesamtbilanz an den Aktienmärkten seit Anfang Jahr sieht allerdings weiterhin düster aus: Viele Leitindizes wie der SMI oder der S&P 500 liegen mit zweistelligen Prozentwerten im Minus. In diesem schwierigen Umfeld kann sich für Anleger ein Blick auf Dividendenaktien lohnen.
In den vergangenen 20 Jahren ist der Swiss-Performance-Index (SPI) inklusive Dividendenzahlungen um 310 Prozent gestiegen, ohne Dividenden wären es nur 138 Prozent gewesen. Über die Hälfte der gesamten Aktionärsrendite entfiel somit auf Dividenden. Gemäss dem UBS-Analytiker Stephan R.Meyer bietet der Schweizer Aktienmarkt derzeit eine erwartete Dividendenrendite von 3,4 Prozent.
Damit schneidet die gegenwärtige Dividendenrendite auch nach den jüngst gestiegenen Renditen am Anleihemarkt immer noch gut ab. Schuldpapiere, die auf Schweizerfranken lauten, rentieren nach dem gestiegenen Zinsniveau zwischen 1 Prozent und 2,5 Prozent. «In unseren Augen ist dies ein attraktiver Renditeunterschied, insbesondere wenn sich die Anleger auf Unternehmen mit hochwertigen Dividendenrenditen konzentrieren», stellt Meyer fest.
Tatsächlich erzielten in den vergangenen Jahren insbesondere Aktionäre von Versicherungen wie Baloise, Swiss Life oder Zurich jährliche Dividendenrenditen von teilweise weit über 5 Prozent.
Unternehmensgewinne sind entscheidend
Für die Dividendenausschüttung ist entscheidend, wie die Unternehmenserträge ausfallen. Dabei spielt auch das makroökonomische Umfeld eine Rolle: Eine Abkühlung der Weltwirtschaft kann zu sinkenden Gewinnen und somit zu Dividendenkürzungen führen.
Gemäss dem Anlagechef der Zürcher Kantonalbank (ZKB), Christoph Schenk, werden sich im kommenden Jahr die höheren Zinsen auf die Schweizer Wirtschaft auswirken, was zu einer konjunkturellen Verlangsamung führen wird, möglicherweise gar zu einer leichten Rezession. Er geht von einem durchschnittlichen BIP-Wachstum von 1 Prozent aus.
Aufgrund der trüberen wirtschaftlichen Aussichten rückt die Nachhaltigkeit der Dividenden wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die UBS rät, sich auf Dividenden zu konzentrieren, die nachhaltig sind, also über den Konjunkturzyklus hinweg durch Gewinne und Cashflows gedeckt werden können, ein überdurchschnittliches langfristiges Wachstum aufweisen und eine relativ attraktive Rendite bieten: In der Schweiz zeigen sich die Unternehmen im Swiss-Market-Index (SMI) diesbezüglich robust. Die Bilanzen der Indexvertreter sind solid, dasselbe gilt für die erwarteten Eigenkapitalrenditen im nächsten Jahr.
Defensive Merkmale
Der UBS-Analytiker Stephan Meyer weist darauf hin, dass Dividenden defensive Merkmale besitzen. So ist ihre Volatilität wesentlich geringer als jene der Unternehmensgewinne. Während der globalen Finanzkrise von 2008 gingen die Reingewinne aller Unternehmen im SMI insgesamt um 68 Prozent zurück, die kumulierten Dividenden indes nur um 22 Prozent.
Sogar nach dem grössten Konjunkturabschwung seit mehr als vier Jahrzehnten im Corona-Krisenjahr sanken die Dividendenausschüttungen für den SMI insgesamt um nur 3 Prozent.
Auch Philipp Lienhardt von Julius Bär geht davon aus, dass Dividendenaktien sich in einem Umfeld erhöhter Inflation und einer Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit tendenziell überdurchschnittlich entwickeln.
Allerdings sind nicht alle Aktien mit hoher Dividendenrendite gleichwertig. «Anleger sollten sich auf Aktien mit defensiven Charakteristiken konzentrieren und solche meiden, die nur aufgrund einer niedrigen Bewertung eine hohe Rendite aufweisen, da sie tendenziell eher zyklisch sind oder beispielsweise operative Probleme haben», sagt er warnend. Daher sei der Fokus auf die absolute Dividende wichtig.
Auch müsse man prüfen, ob ein Unternehmen über Zeit eine steigende Dividende oder konstant hohe Dividenden auszahlen könne. Dies sei normalerweise ein Merkmal eines längerfristig gut aufgestellten Unternehmens.
In Europa gibt es eine Vielzahl von Aktien mit einer attraktiven Dividendenpolitik. In der Schweiz empfiehlt die Bank Bär zurzeit etwa Accelleron Industries, die als Spin-off von ABB erst kürzlich an die Börse kam. Darüber hinaus Aktien von Versicherern wie Swiss Life oder Helvetia.
Ausserhalb der Schweiz zahlen einige Versorger attraktive Dividenden wie Enel und Veolia. Bei den Ölaktien sticht Total Energies hervor.
Es gibt auch Argumente gegen Dividendenstrategien
Dagegen ist der ZKB-Anlagechef Schenk kein grosser Fan von Dividendenpapieren. Diese seien vor allem als Folge der Tiefzinsperiode populär geworden, sagt er. «Wenn eine Firma den Investoren zu viel Geld gibt, hat das Management keine Ideen, wie es investieren soll, um zu wachsen.» Diese Unternehmen zahlten den Investoren oft deshalb eine hohe Dividende aus, weil sie keine Zukunftsperspektiven im Renditebereich hätten. «Wir ziehen gute Geschäftsmodelle vor», betont Schenk.
Langfristig glaubt die ZKB nicht an eine Outperformance von Dividendenpapieren. Für ältere Anleger, die Einkommen benötigten, könnten Dividendenpapiere zwar Sinn ergeben. Junge Investoren mit einem Anlagehorizont von 20 bis 30 Jahren sollten sich aber nicht auf Dividendenpapiere konzentrieren, sagt Schenk.
Zu beachten ist auch, dass Kapitalgewinne dank steigenden Aktienkursen eines erfolgreichen Unternehmens steuerlich interessanter sind als Dividenden.
Schenk empfiehlt Anlegern zurzeit eine Übergewichtung von Anleihen. Die Nachfrage nach Schweizer Obligationen hat nach den Zinserhöhungen wieder merkbar zugenommen. Erstmals seit sechs Jahren seien Realrenditen in der Erwartung der Teuerungsentwicklung positiv, sagt er. «Zurzeit sehen wir gute Möglichkeiten bei Anleihen.» Er schränkt jedoch ein, dass Investitionen in Aktien langfristig höhere Renditen als Obligationen einbrächten.
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